Leider
riecht das Volk so übel
Glaubt
man Arthur Schnitzler, dann war Er-lebnis-Gastronomie nicht erst
eine Erfindung des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Vor gut hundert
Jahren erfand der österreichische Schriftsteller die Bar
"Der Grüne Kakadu" -die, so könnte man in
den Termini der Jahrtausendwende sagen, In-Kneipe des Pariser
Adels am Vorabend der Französischen Revolution. Im "Grünen
Kakadu" spielen Schauspieler Verbrecher, erzählen von
ihren Schandtaten, beschimpfen die zuschauenden Adligen, machen
sie zu ihresgleichen. Und die so Gedemütigten genießen
das Spiel ihrer Entmachtung voll wollüstigen Schauderns.
Spiel mit Schein und Sein
Schnitzlers 1899 uraufgeführter Einakter "Der Grüne
Kakadu", der in einer Inszenierung von Eleonore Caspary am
Freitag erstmals im Theater im OP zu sehen war, spielt mit Sein
und Schein, mit Realität und Fiktion - und mit dem Realitätsverlust
einer Ignoranten und dekadenten Adelsschicht. Denn während
sich im Inneren der Bar das makabre Spiel bis zum echten Tod eines
echten Herzogs steigert, beginnt draußen die Revolution
mit dem Sturm auf die Bastille. Das adlige Publikum ist begeistert
und klatscht Applaus: Massen haben etwas Großartiges. Nur
leider rie-chen sie so übel.
Schnitzler nannte sein Stück eine Groteske, und Eleonore
Caspary nimmt ihn beim Wort. Nicht naturalistisch lässt sie
die Charaktere geraten, sondern sie überzeichnet, greift
tief in die Klamauk- und Klischeekiste. Auf einer Art Showtreppe
lässt sie die Personen die sparsam dekorierte Bühne
betreten und gibt damit jeder Figur ihren großen, genussvollen
Auftritt. Es wird geschrieen, gestöhnt, geschluchzt, gejauchzt
und geschwuchtelt, was das Zeug hält. Caspary setzt auf das
komödiantische Talent ihres 16-köpfigen Ensembles und
fährt gut damit: Schließlich ist Schnitzlers Stück
in seinem Anprangern adelig-bürgerlicher Fin-de-Siecle-Dekadenz
auch nicht eben subtil.
Die nach Entwürfen von Dinah Loerke und Annette Bundy weiß-schwarz
geschminkten Gesichter der Akteure unterstreichen das Bekenntnis
zur Künstlichkeit. Weniger glücklich wirken dagegen
die Bemühungen, den Text an manchen Stellen gegen den Strich
zu bürsten, um der einen oder anderen Figur doch noch einen
Charakter mit Zwischentönen zu verleihen.
Jeder Satz eine Pointe
Was an dieser Inszenierung Spaß macht, ist nicht der Tiefgang,
sondern der Humor. Besonders im zweiten Teil der rund zweistündigen
Inszenierung sprudeln die Ideen und überzeugen die schauspielerischen
Leistungen. Dinah Loerke als sexuell unersättliche Marquise
Séverine, Ingo Michler als ihr bemitleidenswerter Gatte
und Thomas Ehlers als adeliges Landei Albin gelingt es, beinahe
jeden Satz zur Pointe zu machen. Das Premierenpublikum dankte
mit stürmischem und lang anhaltendem Applaus.
Joachim F. Tornau
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