Emmy Göring an der Seite ihres Mannes
Eine Innenansicht unter Verwendung historischer und vermeintlich historischer Texte
- Oliver Reese -


Kirsten Kronberg, Göttinger Tageblatt, 20.07.1998


Zwischen Menschlichkeit und Monstrosität

Die Sache mit Hitler, wie konnte sie geschehen? Um kaum eine Frage hat es wohl so viele Antwortbemühungen gegeben. Aber ob aus historischem, psychologischem oder soziologischem Wissen heraus formuliert, jeder Erklärungsversuch läßt das Unbehagen spüren, etwas im Wortsinn Unsägliches aussprechen zu wollen. Dabei ist es nicht die Erkenntnis über Ursachen des Faschismus an sich, die deplaziert wirkt, sondern der Gestus des Beherrschens, des endgültigen In-den-Griff-Bekommens, der der Wissenschaft innewohnt und der sich nicht für jeden Gegenstand eignet.

Wie gut ist es, daß die Kunst offene Möglichkeitne bereithält. Auch Oliver Reese muß sich das gesagt haben, als er das Zwei-Personen-Stück "Emmy Göring an der Seite ihres Mannes" schrieb, das im Göttinger Apex Premiere hatte. Mit Hilfe einer Mischung aus biografischen Aufzeichnungen und eigenem Material gewährt der Autor Einblick in Episoden eines scheinbar normalen Ehelebens, das seine Abartigkeit erst vor dem Hintergrund der Geschehnisse im Dritten Reich gewinnt.

Reese löst nicht den Widerspruch zwischen Menschlichkeit und Monstrosität: Während die Schauspielerin Emmy mit Hilfe ihres Mannes, des Reichsmarschalls Hermann Göring, immer wieder jüdische Kollegen vor der Deportation rettet, läßt derselbe Mann Hunderttausende von Juden umbringen.

Kuriose Paarung
In der Inszenierung von Thomas Müller, der das Theater im OP diesmal an neuem Ort spielen läßt, wird dieser Widerspruch besonders an der Figur der Emmy Göring deutlich. Die kuriose Paarung von humoristischen Anekdoten und menschlichen Tragödien in ihren Erinnerungen zeigt, wie einsichtsfrei und reflexionslos ihre Bestandsaufnahme ist. Nur selten blitzen Momente der Erkenntnis auf. Eva-Maria Ferber als Emmy wechselt den Tonfall von "Kaffeekränzchen" immer gerade da zu theatralischer Aufgeblasenheit, wo stummes Entsetzen oder Nüchternheit angemessen wären. Das eigentlich Verblüffende aber ist, daß einem diese Frau nicht unsympathisch ist. Ferber gelingt es nämlich, ihre Rolle über eineinhalb Stunden hinweg im moralischen Schwebezustand zu halten und den Zuschauern darüber hinaus mit ihrem komödiantischen Talent pralle Schaulust zu bescheren.

Etwas schwer tut sich dagegen Markus Piccio als Reichsmarschall. Ihm kommt das ideologische Credo des Hermann Göring noch nicht überzeugend über die Lippen. Zwar schlüpft er in die Jacke, aber nicht in den Charakter dieses von Sehnsucht nach Macht und nationaler Identität getriebenen Mannes.

Hat die Kunst hier nun ihre ganz eigenen Möglichkeiten genutzt? Trotz einiger Anlaufschwierigkeiten (Lieber Beleuchter, achte auf Deinen Einsatz!) kann man durchaus sagen: ja.

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