Spagat
zwischen Ernst und Komik | von Christine Kämmer
Die ehemalige Notaufnahme im Theater im OP ist ein schmaler Raum.
Am linken Rand eine Nische mit Teetischchen, am rechten Frankensteins
Labor. Dicht vor der ersten Zuschauerreihe hängen Schiebetüren
mit grünen und braunen Formenlandschaften das schottische
Hochland, die Schweizer Alpen, das ewige Eis (Bühnenbild: Axel
Theune). Wenig Beinfreiheit und viel Tuchfühlung gab es am
Montag, 19. November 2001, bei der Uraufführung von Frankenstein
im Göttinger Theater im OP.
Klaus-Ingo Pißowotzki und Andreas Prenzel haben die Romanvorlage
von Mary Shelley bearbeitet und dramatisiert. Viktor Frankenstein
will den perfekten Menschen erschaffen, die Kreatur missrät
und begibt sich auf Rachefeldzug. Der Stoff ist bekannt, die Darstellung
erfrischend neu:
Forscher Walton (Niki Wildberg) erzählt seiner Schwester (Melanie
Lenz) beim Tee von seiner Begegnung mit Frankenstein, zwischendurch
sind einzelne, teilweise pantomimische Szenen eingeflochten. Charakterstudie
statt Horror-Spektakel. Die räumliche Nähe zu den Schauspielern
verstärkt dieses Gefühl, man schaut ihnen direkt ins Gesicht.
Überzeugend wandelt sich Florian Schipka als Frankenstein vom
sympathischen Gentleman zum Wissenschaftler mit wahnhaft funkelnden
Augen. Facettenreich auch das Monster (Benjamin Westhoff): Vernarbt
und mit blutunterlaufenen Augen träumt es von Liebe, wird von
den Menschen verstoßen Szenen, die anrühren. Dann
lernt es, zu hassen und zu morden doch eine Bestie?
Hinter allem die bittere, aber nicht neue Erkenntnis: Die Welt ist
schlecht, und die Menschen sind voller Vorurteile. Für befreiendes
Lachen sorgen dafür die komisch-plakativen Charaktere: vermummte
Scharfrichter und arrogante Professorentypen, resolute Gattinnen
und Klatschbasen. Besonders gelungen: Thorben Lange als Ostpreuße
mit russischer Fellmütze und passendem Akzent. Gentechnik und
die Verantwortung des Forschers, die Ablehnung des Fremden
die aktuellen Bezüge stimmen nachdenklich. Trotzdem gelingt
dem Ensemble der Spagat zwischen Ernst und Komik.
Absolut sehenswert.
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Spielort:
Notaufnahme (unter dem ThOP)
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