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Der Drache von Jewgeni Schwarz

[presse]


Tödlicher Ernst der Wirklichkeit
von Katja Flock, Göttinger Tageblatt, 6. März 1998

Ein feuerspeiender Drache hält die Bühne des Göttinger Theaters im OP besetzt. Seit vierhundert Jahren herrscht das Ungeheuer über die Stadt. Tausend Kühe, zweitausend Schafe, fünfzehntausend Hühner und zwei Pfund Salz verschlingt es allein in vier Wochen. Im Sommer kommen zehn Gemüsefelder hinzu. Und einmal im Jahr verlangt der Tyrann eine Jungfrau als Tribut. Doch da betritt Lanzelot, der fahrende Ritter der Gerechtigkeit, die Szenerie und fordert den Drachen zum Kampf. Gegen den Willen der Bewohner besiegt er mit Hilfe eines fliegenden Teppichs, einer Tarnkappe und einem Zauberschwert das dreiköpfige Ungeheuer.
An dieser Stelle würde das Märchen glücklich enden. Doch die Groteske "Der Drache" des russischen Schriftstellers Jewgenij Schwarz, die am Mittwoch im ThOP Premiere feierte, geht unaufhaltsam weiter. Nachdem Lanzelot spurlos verschwunden ist, läßt sich der einst willfährige Bürgermeister als Befreier und Drachentöter umjubeln. Er ernennt sich zum Präsidenten der Stadt und führt, dürftig verbrämt, die Blutherrschaft seines Vorgängers fort. Denn schließlich hatte man sich an den Drachen gewöhnt. Und außerdem ist ein eigener Tyrann der beste Schutz vor einem anderen.
Als politische Protestparabel gegen den Faschismus geschrieben, wurde "Der Drache" als abgründige Satire auf selbstherrliche Staatsmänner und deren Steigbügelhalter auch von Stalin verboten. Denn das diktatorische Vokabular provoziert im Spiel des Märchens den tödlichen Ernst der Wirklichkeit.
In der absurden, grausam-komischen Inszenierung von Angela Menzel und Jörg Isermeyer kommen die ungeheuerlichsten Einsichten auf die beiläufigste Art wirkungsvoll zum Tragen. Sie treiben mit dem Entsetzen Scherz und kommen dabei ganz ohne zwanghafte Aktualisierungen aus. Herausragend mimt Dirk Böther den herrschsüchtigen Diktator. Sein machtbesessener Sohn (Ingo Vallo) versucht ihm in nichts nachzustehen. Alexandra Klein, Maria Patzschke, Jessica Schattschneider, Jürgen Bartz, Rainer Knirsch, Michael von Grundherr und andere spielen die "durchlöcherten, käuflichen und verbrannten Seelen", die bloß noch als abgerichtete Speichellecker fungieren. Allein in Lanzelot (Markus Jochemczyk) und der Jungfrau (Annika Morich) darf die Liebe leben.
Engagiert und humorvoll deckt das Ensemble Tyrannei, politische Korruption und Duckmäusertum auf. Es entlarvt die Banalität des Bösen und zeigt, daß das Stück auch heute kaum Patina angesetzt hat. Denn, so der Autor, "muß nicht in jedem von uns ein Drache getötet werden?"


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