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Pressestimmen

Göttinger Tageblatt vom 14. 12. 1998 -

Die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen - doch die Revolution liegt schon in Scherben. Noch tragen die Dantonisten ihren Kopf auf den Schultern - doch verloren haben sie ihn längst.
Büchners Drama vom Schicksal der Revolutionen in Szene zu setzen, ist immer ein Wagnis. Denn „Dantons Tod" muss heute daran gemessen werden, wie Intimität und Öffentlichkeit, Privatleben und politischer Prozeß als Pole menschlicher Existenz begreifbar gemacht werden können. In der Inszenierung, die am Freitag im Göttinger Theater im OP Premiere feierte, ist dies auf erstaunliche Weise gelungen.
Regisseur Thomas Müller entstaubte den Text durch eine kluge Strichfassung geschickt von überbordenden historischen Tiraden und reduzierte ihn auf konzentrierte Bilder. Da geht manche Textpassage verloren, ohne daß man sie vermisst. Figuren werden unterschlagen, ohne dass man sie herbeisehnt. Die Bühne, aus verschiedenen Baugerüsten zusammengefügt, bietet ein einfaches, doch eindrückliches Bild, das das Büchnersche Sprechtheater durch spannungsreiche Konstellationen immer wieder aufzubrechen vermag.
„Wie lange sollen die Fußstapfen der Freiheit Gräber sein?" beklagt todessehnsüchtig Danton, herausragend dargestellt von Klaus-Ingo Pißowotzki. Sein in leisen Tönen beschworener Weltschmerz ist von eindringlicher Melancholie. Ein müde gewordener Held, den die Erkenntnis der Sinnlosigkeit jeden Handelns in dekadente Sinnenfreude treibt: „Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst."
Die einst Handelnden sind zu Getriebenen geworden. Ihre Hoffnungen verdampfen. Wie kann der revolutionäre Terror in republikanische Freiheit verwandelt werden, wenn „jedes Komma ein Säbelhieb, und jeder Punkt ein abgeschlagener Kopf ist?" Überzeugend vertritt Camille (Peter Schubert) die Utopie vom zarten Kleid der Demokratie. Doch dem Volk ist die Guillotine zu langsam. Einen blutigen „Platzregen" fordert die gaffende Menge, die barfüßig nach Schuhen aus Aristokratenleder giert. Die Radikalität der manipulierbaren Masse weiß Robespierre (Dirk Opitz, ein wenig zu sehr zur mechanischen Marionette geraten) zu nutzen. Als unbeugsamer Tugenddespot und angestrengter Sonntagsprediger versteigt er sich in die Rhetorik des Massenmordes und bringt Danton und seinen Kreis zu Fall.
Georg Büchners szenische Reflexion gestaltet nicht den Triumph, sondern das Dilemma der Revolutionen. Sein historisches Fresko offenbart in erschreckender Gegenwärtigkeit, wie der Einzelne und die politische Gemeinschaft, wie individuelles Glück und Unglück mit der Weltgeschichte verstrickt sein können. Denn, so fasst einer der Bürger die Grundstimmung des Stückes zusammen: „Die Erde ist eine dünne Kruste; ich meine immer, ich könnte durchfallen, wo so ein Loch ist."



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